Der Australian Shepherd
Genie und Wahnsinn einer besonderen Hunderasse
mit freundlicher Genehmigung
Von Stefanie Gaden (
www.hundeschule-gaden.de)
Er blickt uns von den Titelbildern der Hundezeitschriften an, ist immer häufiger
anzutreffen in den Hundeschulen und –vereinen, hat eine tierische Rolle in einer
Doku-Soap, ist Hauptakteur in Reportagen: Der Australian Shepherd, kurz Aussie
genannt. Die Informationen und Meinungen rund um diesen Hund können
unterschiedlicher nicht sein.
Aber was ist er denn nun, der schöne, bunte, ansprechende Hund, den vor Jahren
kaum jemand kannte und den man mittlerweile immer häufiger antrifft? Ist er
tatsächlich ein wahrhaftes Genie? Ist er der Familien-Terrorist, der Einzug
gehalten hat, der hundsgewordene Allrounder oder gar der „Border Collie light“?
Der Aussie avanciert in den letzten Jahren immer mehr zum Modehund und der
Höhepunkt des Aussiebooms ist wohl leider noch nicht erreicht.
Wenn der Bekanntheitsgrad steigt, entsteht eine Nachfrage. Und wo eine Nachfrage
besteht, wird der Markt bedient. Das ist Gesetz! Und Welpen, die schon mal da
sind, müssen offensichtlich schnell an den Mann oder die Frau gebracht werden,
denn unseriöse Züchter und Hinterhofvermehrer sind flott wie immer auf den
fahrenden Zug aufgesprungen und haben auf Gedeih und Verderb viele süße
Hundebabys „produziert“ - und tun es noch.
Wer kann schon diesem Blick widerstehen?
Schnell avancierte da der ursprüngliche Arbeitshund zum „leichterziehbaren
Familienhund“. Das spricht die breite Masse möglicher Käufer an! Von der
kommerziellen Seite aus gesehen wollen Hundewelpen nun mal verkauft werden, die
Kassen sollen klingeln.
Intelligenz wird dann schnell mal gleichgesetzt mit guter Trainierbarkeit, was
häufig auch stimmt. Dass ein schnelldenkender Hund sich jedoch nicht selbst
erzieht, sondern eher schnell für den Menschen unerwünschte Verhaltensweisen
zeigt, wird außer Acht gelassen.
Dass der Aussie angepriesen wird als nicht-jagender, kinderlieber Hund, halte
ich für die Farce schlechthin. Aber nette Versprechungen sollen den Hütehund für
ein großes Käuferspektrum attraktiv machen, begründet sich doch das Hauptproblem
vieler Hundehalter im Jagdverhalten ihrer Hunde.
Hinzu kommt noch ein Werbeslogan: „Der Aussie ist ein kinderlieber Hund!“
Hand aufs Herz, wer würde sich denn nicht freuen über eine in die hündische
Wiege gelegte, also bereits garantierte, Kinderfreundlichkeit?
Hat der Aussie nun Einzug gehalten in seine neue Familie und stellt man fest,
dass von den Versprechungen des Verkäufers nicht mehr allzu viel übrig bleibt,
ist das sprichwörtliche Kind bereits in den Brunnen gefallen. Mehr oder minder
verzweifelt wird oft ein Hundetrainer nach dem nächsten geordert. Doch selbst
der kompetenteste Hundefachmensch kann zusammen mit dem Besitzer zwar
Ausbildungs- und Erziehungsdefizite schmälern oder im besten Falle sogar
zunichte machen, er ist jedoch erfolglos, wenn es um Haltungsdefizite geht. Ein
Arbeitshund im „Leerlauf“ ist und bleibt eine einzige Katastrophe!
Mit Kinderfreundlichkeit wird also geworben, ganz so, als sei diese angeboren.
Mir ist jedoch nicht bekannt, dass es die genetische Komponente gibt, die den
Hund zum kinderliebenden Spielgefährten machen. Und überhaupt, was bedeutet
Kinderfreundlichkeit?
Dass sich der Hund von jeder noch so groben Kinderhand im Fell zerren oder vor
lauter Liebe strangulieren lässt? Dass er die Lautstärke von einer schreienden
Kindermeute besser ertragen kann als andere Hunde ohne „Familiengütesiegel“?
Dass er sich „kindlich-naive Tyranneien“ gefallen lässt ohne mit der Wimper -
oder besser - mit der Lefze zu zucken?
Vielleicht sollte der erste Ansatz sein, dass man selbst sagen kann,
„hundefreundliche Kinder“ zu haben und eine gute Aufsicht und Anleitung beider
gewährleisten kann. Dann wird nämlich wirklich jeder Hund Kinder mögen!
Manchmal steht in den Verkaufsanpreisungen noch, dass der Aussie für sportliche
Familien geeignet ist. Doch was bedeutet Sportlichkeit? Sonntags 2 km stramm an
ebenso strammer Leine durch den Stadtpark zu wandern? Ist man schon sportlich,
wenn man morgens den einen Kilometer zum Bäcker mit dem Rad fährt? Oder muss man
als geeigneter Halter gleich ein Marathonläufer sein? Wie sportlich ist
eigentlich ein Schäfer, wenn mal keine Arbeit für ihn und den Hund da ist?
Flitzt dieser dann mit dem Rad herum, um seinen Hund müde zu bekommen? Versucht
er ihn vielleicht mit Agility auszulasten?
Und was ist mit den Versprechungen mancher Züchter, ihre Aussies stammen nicht
aus Arbeits- sondern aus Showlinien und seien daher ruhiger und bevorzugen eher
das heimisch mollige Sofa als das Arbeiten? Leider kenne ich zu viele Aussies
beider Linien, die sich offensichtlich zum Ziel gesetzt haben, ganz anders zu
sein, als das, was sie angeblich darstellen sollen!
Und überhaupt, schließt denn eins das andere zwangsläufig aus?
Der Aussie ist zweifelsohne ein Hund inmitten der Extreme, und der Wechsel
zwischen den Rollen als „Arbeitsjunkie“ und „Couchpotatoe“ ohne weiteres
zulässig, ja, von echten Fans und Kennern dieser Rasse sogar über alle Maßen
geschätzt!
Ich möchte ein paar Aspekte erläutern, die ich für wichtig erachte und die mir
in den Sinn kommen, wenn ich an die meisten Aussies denke, die ich erlebt und
mit denen ich gearbeitet habe, übrigens unabhängig davon, ob sie eher von Show-
oder Arbeitslinien abstammten.
Zuvor möchte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass es kaum Hunde einer Rasse
gibt, deren Vertreter unterschiedlicher im Gemüt sein können. Selbstverständlich
gibt es immer Ausnahmen von der Rasse- und Wesensbeschreibung. Vielleicht gibt
es gerade beim Aussie erstaunlich viele, nicht-typische Vertreter und damit erst
recht keine Garantie, wie ein Aussie charakterlich zu sein hat.
Ich würde mich jedoch niemals auf das Risiko einlassen, damit zu spekulieren,
dass der kleine Welpe später nicht doch ein typischer Aussie wird, egal, ob der
Verkäufer ihn mir als Nachkomme einer „Showlinie" oder gar der Superlative der
„Therapielinien“ abstammend schmackhaft machen will.
Ein Aussie aus einer Showlinie kann der begeisterte Arbeiter sein, ebenso wie
der Aussie einer Arbeitslinie absolut wenig Engagement für hütehundtypische
Aufgaben haben kann!
Auf Shows kann das Äußere des Aussies bewertet werden und es gewinnen meist die,
die aufgrund ihres Aussehens dem Standard möglichst nahe kommen. Doch das Wesen
eines Hundes zu beurteilen, dafür gibt es keine Ausstellungen oder verlässlichen
Prüfungen. Einzig in der Hand des Züchters liegt die Entscheidung, welche Hündin
er mit welchem Rüden verpaart. Die meisten Züchter sind leider selten bereit,
aufgrund einer Charakterschwäche der Elterntiere, auf deren Zuchteinsatz zu
verzichten. Dem Hinterhofvermehrer, der sich in den allerseltensten Fällen auch
nach dem Kauf verantwortlich und beratend zeigt, ist es erst recht egal, welche
Charaktereigenschaften Rüde und Hündin weitergeben. Seine Verantwortung endet
mit dem Griff in die Tasche, in welcher die Kaufsumme verschwindet.
Ich werde oft von interessierten Menschen auf meine Hunde angesprochen.
Hanebüchene Aussagen bekomme ich zu hören. Dabei kommt immer häufiger das
negative Image zur Sprache.
Genauso oft wird der Aussie als engelgleiches Lassie-Wesen beschrieben, was mich
jedoch nicht minder stört. Die Rasse scheint entweder in den Himmel gehoben oder
verteufelt zu werden.
Genau das hat mich bewogen, einen Artikel wie diesen hier zu schreiben.
Im Folgenden möchte ich versuchen, den Aussie realistisch zu beschreiben. Ich
tue dies nicht in Anlehnung an Beschreibungen diverser Bücher oder
Internetauftritte der Züchter, sondern aus meiner praktischen Erfahrung heraus,
einmal als Hundetrainerin und zum anderen, weil mich einige Vertreter dieser
Rasse seit 12 Jahren begleiten. Die einzelnen Aussagen erläutere ich im späteren
Text:
Der Aussie...
• ist intelligent und überaus aufnahmebereit
• ist agil
• verfügt nicht selten über ein nicht zu unterschätzendes Aggressions-potential
• hat zunehmend Temperamentsprobleme
• hat ein zurückhaltendes Wesen gegenüber Fremden
• ist ein „Ein-Personen-Hund“
• verfügt über Wachsamkeit und Schutztrieb
• ist überaus sensibel
• ist ein echtes Allroundtalent
• ist ein Spätentwickler
• verfügt im Idealfall über den „will to please“
• hat einen mittelprächtig ausgeprägten Jagdtrieb
Intelligenz und Aufnahmebereitschaft bedeutet keinesfalls, dass der Hund auf
wundersame Weise schneller oder besser unsere menschlichen Wertevorstellungen
erkennt und sich engelsgleich und leichtführig zeigt. Intelligenz bedeutet, dass
der Hund extrem schnell verarbeitet und oft ebenso schnell und selbstständig
handelt. Der Aussie hat eine außergewöhnlich schnelle und wirklich hervorragende
Auffassungsgabe und verfügt über ein mehr als ausreichendes Potential an
Eigeninitiative!
Dabei geht es nicht um ein schnelles Erlernen der klassischen
Unterordnungsübungen, sondern um die ganz subtilen alltägliche Dinge. Ein
intelligenter Hund reagiert schneller auf inkonsequentes Verhalten seines
Besitzers und ist grundsätzlich handlungsbereiter. Er bemerkt punktgenauer
Lücken im Regelwerk und weiß sie prompt für sich zu nutzen. Er lernt schneller,
sich selbst zu beschäftigen und entwickelt ein überaus kreatives Potential,
seiner selbstgewählten Beschäftigung nachgehen zu können.
Ein Hund mit einer schnellen Auffassungsgabe stellt eher seine Menschen und ihr
Regelwerk in Frage. Ein Aussie will seinen Kopf nutzen. Im besten Falle tut er
das in Kooperation mit seinem Zweibeiner. Im schlimmsten Falle ohne ihn!
Im Idealfall: Ein konsequenter, hundserfahrener oder in Sachen Hund sehr
motivierter Mensch findet im Aussie den ultimativen Begleiter, der wirklich
alles mit sich anstellen lässt und begeistert bei der Sache ist. Ist man in der
Lage, seinen Aussie souverän zu führen, lernt er unglaublich schnell mit einer
unbeschreiblichen Freude und regelrechten Hingabe bei gemeinsamen Aktivitäten.
Wer an dieser Stelle schon ins Grübeln gerät, welch tolle Sachen man gemeinsam
mit einem Hund anstellen kann, der hat damit bereits beantwortet, ob er für den
Aussie geeignet ist! Ein kreativer Hund braucht kreative Menschen und umgekehrt!
Agilität bedeutet, dass der Aussie rein körperlich in der Lage ist, über eine
lange Zeit hart zu arbeiten. Es bedeutet NICHT, dass dieser Hund das jeden Tag
und ununterbrochen machen muss! Im Gegenteil: Die meisten Besitzer eines
Hütehundes sind schon vor der Ankunft des neuen Familienmitglieds so verrückt
gemacht worden, dass sie alles daran setzen, ihren Hund „müde“ zu machen. Den
Hochleistungs-Junkie erzieht man sich so schnell selbst durch gnadenlose
Überforderung. Mir sind nicht wenige Fälle bekannt, wo Leute mit ihrem gerade
mal 12 Wochen alten Hund Gewaltmärsche von vielen Kilometern machten, bloß weil
sie glaubten, ein agiler Hund müsse entsprechend ausgelastet werden.
Einen erwachsenen Aussie bekommt man nicht wirklich müde. Man schafft sich bloß
einen Hund, der jeden Tag noch mehr fordert und der eine sagenhafte Kondition
entwickelt, die sich schier endlos weiter steigern lässt. Aber kaum jemand denkt
daran, dass man den Hund auch wieder „runterholen“ muss. Der viel gepriesene Mix
zwischen An- und Entspannung ist auch hier wieder unbedingt zu erwähnen!
Zweifelsohne ist ein Aussie ein Hund, der seinen Besitzer fordert und so manches
Mal herausfordert!
Im Idealfall: Habe ich einen Hund, der 100 % da ist, wenn ich ihn brauche und
der ebenso verträgt, eine zeitlang mal arbeitslos zu sein.
Aggressionspotential, nach meiner Ansicht ein oft unterschätztes Thema beim
Aussie. Er ist trotz seines hübschen und eher weichen Äußeren kein ewig
schwanzwedelnder, aggressionsloser Hund. Obwohl man immer wieder liest, dass der
Aussie sehr verträglich mit Artgenossen ist, kenne ich genügend Ausnahmefälle
beiderlei Geschlechts.
Es mehren sich die Fälle, bei denen man von Beißvorfällen hört, an denen Aussies
beteiligt waren. Selbstverständlich hat auch das mit dem gestiegenen
Bekanntheitsgrad und vermehrter Verbreitung zu tun und dennoch hat das Image
sehr gelitten.
Im Idealfall: Der Hund ist jederzeit gut zu kontrollieren, sogar bei möglicher
Nicht-Verträglichkeit anderen Hunden gegenüber.
Temperamentsprobleme
Neben den vielen famosen Aussies, die ich kenne und liebe, gibt es neuerdings
zwei weitere auffallende Typen. Man liest und hört immer wieder von „ererbten
Temperamentsproblemen“. Ich kann und möchte hier nicht beurteilen, ob das
belegbar ist. Neben den Anlagen, die ein Hund mitbringt, sollte jedoch unbedingt
der Umwelteinfluss berücksichtigt werden.Überspitzt gesagt (man möge mir an
dieser Stelle meine scharfe Zunge verzeihen) erscheinen mir einige Aussies wie
hyperaktive Kinder; andere wiederum muten eher an wie Autisten. Entweder sind es
sagenhaft tolle Hunde oder sie haben ein offensichtliches oder verborgenes,
inneres Problem, welches sich aufgrund fehlender Förderung in Hyperaktivität
oder auch depressiver Trägheit zeigt. Oft sieht man nur das Symptom und fischt
bei der Ursachenforschung im Trüben.
Im Idealfall: Der Aussie bewegt sich innerhalb der Extreme. Er kann ein völlig
ruhiger, ausgeglichener, souveräner und unauffälliger Begleiter sein, um im
nächsten Moment sekundenschnell von 0 auf 100 zu allen Aktionen bereit zu sein.
Er sollte jedoch nie über die Stränge schlagen.
Sein Zurückhaltendes Wesen macht den Aussie oft schwierig im Umgang mit anderen
Menschen, die nicht zur Familie gehören. Er ist in den seltensten Fällen ein
Hund, der es mag, wenn fremde Menschen auf seinem Kopf herumtätscheln. Und durch
sein auffälliges und attraktives Erscheinungsbild gerät man allzu oft an Leute,
die ungefragt an den Hund herantreten, der „doch so lieb ausschaut“.
Hier möchte ich noch mal einen kleinen Ausflug ins Thema Kinderfreundlichkeit
machen. Es gibt einige Aussies, die lieben „ihre“ Kinder über alles und sind in
dieser Kombination echte Verlasshunde.
Genau diese Aussies müssen sich nicht zwangsläufig auch in einer
Kindergartengruppe zurechtfinden oder jedes Verhalten eines Besucherkindes still
über sich ergehen lassen. Sie müssen nicht mal fremde Kinder mögen!
Unter dem Ein-Personen-Hund versteht man Hunde, die sich ganz und gar auf eine
Person einschwören und sie manchmal regelrecht vergöttern. Die meisten Aussies,
die ich kenne, sind mehr oder minder solche "Ein-Personen-Hunde". Keine Frage,
sie sind auch sehr eng verbunden mit den anderen Familienmitgliedern, aber im
Gegensatz zu manch anderer Rasse, kann es einem Aussie recht schwer fallen, wenn
die Bezugs- oder Betreuungsperson ständig wechselt.
Wachsamkeit/Schutztrieb: Fast alle mir bekannten Aussies sind sehr wachsame
Hunde. Das reicht vom mild-bluffenden Anschlagen bis hin zum echten Bellproblem,
wenn sich ums Haus oder das Grundstück etwas bewegt. Nicht wenige von ihnen
stellen Eindringlinge, wenn der Besitzer nicht dabei ist. Nicht jeder reagiert
schwanzwedelnd auf Besucher! Viele Aussies sind mitunter echte
„Bewegungsmelder“!
Ich habe oft an das Verhalten eines Herdenschutzhundes denken müssen, wenn ich
sehe, wie akribisch und im Detail auch ein Aussie seine Umgebung regelrecht
„abscannen“ kann und sofort meldet, wenn etwas Ungewohntes entdeckt wird. In
Verbindung mit einem neuen Problem, nämlich der Ängstlichkeit mancher Aussies,
kann das Verbellen von Dingen, die der Hund nicht einzuschätzen vermag,
defensiver oder eben auch offensiver Natur sein.
Da der Aussie mit diesem Merkmal ausgestattet sein kann, sollte man sich fragen,
ob die Örtlichkeiten mit einem solchen Hundetypen klar kommen und ob der Aussie
in dieses Lebensumfeld passt.
Jedoch muss erwähnt werden, dass der Aussie kein Wach- und Schutzhund im
klassischen Sinne ist.
Seine Reizschwelle würde ich im mittleren Bereich einschätzen. Ein Aussie kann
aber, wenn nötig, „hochgehen“ wie eine Rakete. Er ist dabei äußerst schnell,
kraftvoll und manchmal von einer auf die andere Sekunde handlungsbereit.
Sensibilität
Viele Aussies sind hochsensibel. Damit meine ich die allgemeine
Wahrnehmungsfähigkeit aber auch ihr Einfühlungsvermögen. Auf kaum einen anderen
Hund überträgt sich die eigene Stimmung schneller. Sensibel reagieren Hütehunde
jedoch auch auf Geräusche, manche hypersensibel auf jedwede Art ungewohnter
Einwirkung oder Reize, egal ob visuell oder akustisch. Einige Aussies sind mehr
als das, sie sind hypersensibel, besonders, wenn die Umweltgewöhnung nur
unzureichend stattgefunden hat und haben daher ein überaus feines Nervenkostüm,
dass sie unruhig, unsicher oder auch unstet werden lassen kann. Ich warne ebenso
vor einer harten Ausbildung. Das tue ich generell, aber der Aussie ist einer der
denkbar schlechtesten Vertreter, der mit Starkzwangmaßnahmen klar kommt.
Wählt ein Aussiebesitzer diesen Weg, weil er hilflos mit seinem Hund an falscher
Stelle Rat sucht, kann er gewiss sein, dass sich die Probleme durch eine harte
Ausbildung zu Beginn scheinbar minimieren lassen, aber mittelfristig gesehen
noch deutlich umfangreicher werden!
Der Spätzünder
Man muss schon ein wenig Geduld haben, bis ein Aussie erwachsen ist. Er sieht
recht früh erwachsen aus, ist es aber noch lange nicht. Eine für mich
realistische Angabe zur Orientierung liegt bei etwa 2,5 – 3 Jahre.
Die Gefahr besteht wie bei anderen Spätentwicklern, dass der Aussie viel zu früh
gefordert wird, vor allem im sportlichen Bereich. Fordern und Fördern bleiben
zwei paar Schuhe!
Man sollte ihm und sich selbst Zeit lassen und diese unbedingt nutzen, um am
gegenseitigen Vertrauen, an Bindung und Gehorsam zu arbeiten. Die Zeit für
mögliche sportliche Aktivitäten wird kommen und erfahrungsgemäß ist der Hund
(beispielsweise im Agility) wesentlich führiger, wenn zuvor intensiv eine
nicht-leistungsorientierte Erziehung und Ausbildung stattgefunden hat. Ich habe
einfach schon zu viele, hochgepuschte und gestresste Aussies laut kläffend durch
Parcours hetzen sehen, als dass ich es befürworten könnte, sie früh zu fordern.
Selbstverständlich bieten sich schnelle Sportarten wie Agility für einen solchen
Hund an. Aber ich rate jedem, spät damit zu beginnen und langsam und spielerisch
zu starten. Zu früher Leistungsdruck schadet jedem Hund! Bis der Aussie
erwachsen ist, gibt es viel wichtigere Dinge zu tun. Dann ist immer noch Zeit
für den „großen Sport“!
Allroundtalent
Ein Allroundtalent ist für mich ein Hund, der aufgrund seines Körperbaus in der
Lage ist, alles zu leisten und der blitzgescheit an seinen Aufgaben wächst. Er
verfügt zudem ohne Einschränkung über all seine Sinne. Es gibt nichts, was ich
mir mit einem Aussie nicht vorstellen kann. Entsprechend gefördert liegt ihm das
Apportieren, die Nasenarbeit, das Schwimmen, das Springen und Klettern, die
Dinge mit viel Action ebenso wie die leiseren Sachen, bei denen Köpfchen und
Konzentration gefragt sind.
„will to please“
Bedeutet übersetzt, „den Wunsch, zu gefallen“. Hunde mit diesem „will to please“
sollen bestrebter sein, ihrem Menschen zu gefallen. Im idealen Fall äußert sich
dieser „will to please“ also in Form von hoher Aufmerksamkeit dem Menschen
gegenüber und einem Blick, der sagen könnte...
Naturgegeben ist das jedoch sicherlich nicht! Es braucht viele gute „Zutaten“
einer Mensch-Hund-Beziehung, damit ein Hund gerne und freudig mit seinem
Menschen arbeitet.
Mit Hütehunden wie dem Aussie hat man da jedoch einen klaren Vorteil, da sie zur
Zusammenarbeit mit uns Menschen gezüchtet wurden und nicht selektiert,
eigenständige Entscheidungen zu treffen.
Man sollte sich bewusst sein, dass der „will to please“ ebenso wenig wie die
„Kinderfreundlichkeit“ in Form eines Gütesiegels bei der Rassenwahl gleich mit
vergeben wird!
Hütetrieb/Jagdtrieb
Die anfängliche Richtung beider Triebe ist identisch. In Sachen Hütetrieb soll
die Endhandlung, nämlich das Packen und Töten der Beute fehlen. Einige Hütehunde
zeigen jedoch im Ansatz das Packen (z.B. in Füße oder Waden zwicken oder
beißen).
Die Aufgabe der Hütehunde war und ist es, Nutzviehherden zu kontrollieren.
Anfänglich machte man sich den Jagdtrieb zunutze und durch entsprechende
Zuchtauslese wurde ein Hund geschaffen, bei dem Idealerweise die letzte
Jagdsequenz fehlt und der am Vieh leicht lenkbar ist. Damit ist jedoch der oft
gehörte Satz „Ein Aussie jagt nicht!“ logischerweise nicht ganz richtig.
Richtig ist jedoch, dass sich die meisten Aussies relativ leicht lenken und in
ihrem Jagdverhalten beeinflussen lassen. Unter anderem hat das etwas damit zu
tun, dass Hütehunde mit dem Menschen zusammenarbeiten müssen und nicht
eigenständig entscheiden sollen, was gehütet, getrieben oder sogar gejagt wird.
Vereinfacht kann man sagen, dass das Interesse an Tieren oft sehr ausgeprägt
vorhanden ist und dabei spielt es erst mal keine Rolle, ob es sich dabei um
Schafe auf einer Koppel handelt oder um Rehe im Wald.
Aussies auf jagdlichen Abwegen sind daher keine Seltenheit! Ein unerzogener,
nicht ausgelasteter und gelangweilter Hund neigt oft zum Streunen und Jagen.
Es gibt einige wenige Aussies, bei denen das Hüteverhalten genetisch bedingt so
ausgeprägt ist, dass keine Ersatzbeschäftigung den Hund zufrieden stellt. Ein
solcher Arbeiter fristet sicherlich kein glückliches Leben in einer Familie.
Besonders diese stark unterforderten Hunde sind oft begnadete Jäger oder suchen
sich im schlimmsten Falle „Ersatzvieh“ in Form von Kindern, Autos, wehenden
Blättern und anderen beweglichen Dingen.
All diese Eigenschaften sollten nicht isoliert gesehen werden. Manchmal ist es
nicht die Ausprägung einer einzelnen Eigenschaft, sondern das Zusammenspiel
zweier Faktoren, die einen Aussie besonders schwierig (oder auch besonders
genial) machen können:
• durch einen nicht zu unterschätzenden Wach- und Schutztrieb gepaart mit der
Zurückhaltung Fremden gegenüber kann es Probleme mit Besuchern im Haus oder
generell mit fremden Menschen geben
• bei geringer körperlicher Auslastung gepaart mit Langeweile und seinen
Eigenschaften als Hütehund lernen viele Aussies, sich selbst zu beschäftigen,
suchen sich Ersatzarbeit, schränken im schlimmsten Falle beispielsweise den
Aktionsradius der Kinder der Familie ein, versuchen Autos oder Radfahrer zu
jagen
• ein hohes Lerntempo gepaart mit einer starken Handlungsbereitschaft und
aggressivem Potential können einen „führungslosen“ Aussie unberechenbar machen.
Ich habe einmal einen sehr aussagekräftigen und wahren Satz gelesen: „Die oft
gegebene Mischung von Sensibilität und Aggressivität des Aussies kann eine
tickende Zeitbombe sein.“
• man tut einem Aussie nichts Gutes, wenn man ihn körperlich auslastet und dabei
nicht an die geistige Beschäftigung denkt, die er unbedingt braucht.
Mein persönliches Fazit
Der Aussie ist eine spannende Herausforderung, ein „Ganz-oder-gar-nicht-Typ“ und
alles andere als ein Mitläufer. Man trägt diesem Hund nicht Rechnung, wenn er
als hübscher Begleiter das perfekte Bild von Familie mit Kindern und Eigenheim
vervollständigen soll. Er braucht eine Aufgabe und ist für uns Menschen eine
Aufgabe!
Ein bisschen Aussie gibt es nicht. Ich kann mich nicht erfreuen an einem
hübschen und oft extravaganten Äußeren und dann bemängeln, dass ich einen
frustrierten und unglücklichen Hund habe, dem eine Aufgabe fehlt und der mir im
„Leerlauf“ so manche Probleme bereitet.
Jeder Fan liebt seine Rasse. „Einmal Pudel immer Pudel“ gilt genauso wie „einmal
Goldie immer Goldie“ und kann auf wirklich jede erdenkliche Rasse erweitert
werden, sicher auch auf den Aussie. Ehrlicherweise möchte ich jedoch auch
erwähnen, dass ich mittlerweile einige Aussiebesitzer kenne, die unzureichend
informiert oder schlecht beraten ihren Aussie erworben haben und sich nicht mehr
ganz so sicher sind, noch einmal einen solchen zu bekommen. Das jedoch ist nicht
„aussietypisch“ sondern bezieht sich auf fast alle anderen, spezialisierten
Nicht-Familienhunderassen, die ihre Plätze in Familien gefunden haben. Viele
Menschen waren vor der Anschaffung eines Hundes schlecht informiert. Ebenso
viele glaubten der Augenwischerei und den Versprechungen so mancher Züchter und
Vermehrer.
Die meisten Leute lieben jedoch das attraktive Erscheinungsbild des Aussies über
alle Maßen, so dass sie sich einzig wegen dieses Kriteriums für ihn entscheiden.
Ich bitte jedoch zu bedenken, dass Niemandem mit einem hübschen und auffälligen
Hund gedient ist, wenn dieser das Leben des Zweibeiners mehr einschränkt als
bereichert.
Ein unglücklicher Hund, der mir womöglich aufgrund meines eigenen Unvermögens
Probleme macht, die mich und mein Umfeld einschränken, KANN nicht mehr so schön
sein, als dass ich diesen hohen Preis zu zahlen bereit wäre.
Menschen, die sich einen Aussie zulegen möchten, müssen anhand ehrlicher
Informationen ausreichend informiert sein und aus seriöser Quelle, mit genauer
Prüfung der Abstammung dem Wesen und der Anlagen der Elterntiere, kaufen. Sie
sollten wissen, welchen Einsatz sie bringen müssen. Wenn sie bewusst die
Entscheidung FÜR einen Aussie treffen, dann werden sie zweifelsohne den
unschlagbar besten Begleiter bekommen, den sie sich vorstellen können.
Seitens der Züchter wünsche ich mir, dass sie mit Herz und Verstand prüfen, wem
sie ihre Nachzucht anvertrauen. Ich wünsche mir, dass sie beratend tätig sind,
lange vor dem Hundekauf und dass sie über diesen hinaus im Rahmen ihrer
Möglichkeiten die Verantwortung für ihre Vertreter dieser unglaublichen tollen
Rasse übernehmen. Der Aussie hat das (und vieles mehr) verdient!
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